Liquidation Preferences sind finanzielle Vorzugsrechte, die Investoren im Falle eines Liquiditätsereignisses sichern, dass sie vor anderen Aktionären einen Rückzahlungsanspruch auf ihre Investition haben. Diese Präferenzen können verschiedene Ausgestaltungen haben, darunter Multiples, Teilnahmebedingungen und Senioritätsstrukturen, die sowohl den Investoren als auch dem Gründerteam wichtige Anreize und Sicherheiten bieten.
I. Was versteht man unter einer Liquidation Preferences bzw. Liquidation Rights (sog. Erlöspräferenz)?
Der Begriff Liquidation Preference oder Liquidation Rights bezeichnet vereinfacht gesagt ein finanzielles Vorzugsrecht eines Investors gegenüber dem Management und dem Gründerteam. Solche finanziellen Vorzugsrechte der sog. Vorzugsaktionäre können als Anspruch auf Beteiligung am Liquiditätserlös im engen technischen Sinn (vgl. Art. 656 Abs. 2 OR) oder als besonderen Anspruch auf einen Anteil des Erlöses bei Realisierung des Unternehmenswerts bzw. bei Eintritt eines sog. Liquidity Events verstanden werden.
Was im konkreten Einzelfall unter dem Begriff Liquidity Event verstanden wird, ist abhängig von der vertraglichen Definition. Der Begriff Liquidity Event bezeichnet aber in aller Regel nicht nur «negative» Ereignisse (wie Konkurs oder Liquidation des Unternehmens), sondern auch «positive» Events, wie z.B. Fusionen, der Erwerb von Unternehmensanteilen, die Veräusserung von wesentlichen Vermögenswerten oder auch eine wesentliche Veränderung der Beteiligungsrechte. Charakteristisch für einen Liquidity Event ist die Realisierung eines Teils oder des gesamten Unternehmenswerts und damit ein Erlöszufluss.
II. Wie können Liquidation Preferences ausgestaltet werden?
Vertragsklauseln, welche Liquidation Preferences zum Gegenstand haben, weisen in der Regel folgende vier Merkmale auf. Selbstverständlich können Liquidation Preferences im Einzelfall weitere und v.a. auch andere Merkmale aufweisen
1) Initial Liquidation Preference (sog. Multiples)
Der sog. Multiple bzw. die sog. Initial Liquidation Preference bestimmt den Prozentsatz der Investition, den ein Investor zurückerhält, bevor die übrigen (nicht-bevorzugten) Stammaktionäre (wie das Management oder das Gründerteam) am Liquidity Event partizipieren.
- Ein Multiple von 1x bedeutet beispielsweise, dass ein Investor, der CHF 3 Mio. in ein Unternehmen investiert, diesen Betrag zurückerhalten muss, bevor die übrigen Stammaktionäre einen Anteil am erzielten Erlös des Liquidity Events erhalten. Wenn das Unternehmen z.B. für CHF 15 Mio. verkauft würde, wären dem Investor mindestens CHF 3 Mio. garantiert, unabhängig davon, wie hoch sein Anteil an der Gesellschaft ist. Wenn das Unternehmen für nur CHF 1 Mio. verkauft würde, hätte der Investor Anspruch auf den ganzen Erlös. Die übrigen Stammaktionäre erhalten in diesem Fall nichts.
- Ein Multiple von 2x bedeutet sodann, dass der Investor im obigen Beispiel mindestens CHF 6 Mio. erhalten müsste, bevor die übrigen Stammaktionäre einen Erlösanteil bekommen.
In der Praxis liegen die Multiples in der Regel zwischen 1-2x, können aber je nach Marktbedingungen und Risikoallokation auch höher sein.
2) Participation Rights («participating» und «non-participating»)
Neben der Höhe des Multiples ist auch die Frage zu klären, ob die Vorzugsaktionäre neben dem Multiple zusätzlich am Erlös eines Liquidity Events beteiligt werden oder nicht.
a) Non-Participating
Eine non-participating Liquidation Preference gibt dem Investor die Möglichkeit, entweder seine Liquidation Preference auszuüben oder seine Anteile mit Vorzugsrechten in Stammaktien zu wandeln und wie die übrigen Stammaktionäre behandelt zu werden.
Hier ein Beispiel zur Illustration:
Ein Investor hat im Rahmen einer Investitionsrunde CHF 1 Mio. in ein Unternehmen investiert und hält 20% des Unternehmens. Ihm wurde vertraglich eine 1x non-participating Liquidation Preference eingeräumt. Das Unternehmen wird sodann im Rahmen eines Verkaufs für CHF 2 Mio. veräussert.
Aufgrund der non-participating Liquidation Preference hat der Investor nun zwei Möglichkeiten:
- Er kann seine Liquidation Preference ausüben und erhält garantiert CHF 1 Mio. zurück.
- Er kann jedoch auch seine Vorzugsaktien in Stammaktien im Wert von CHF 400'000.00 umwandeln und zu einem «normalen» Stammaktionär werden. Diesfalls erhielte er CHF 400'000.00, was 20% von CHF 2 Mio. entspricht.
In diesem Beispiel ist klar, dass der Investor selbstverständlich die Liquidation Preference ausübt, da er durch die Ausübung eine höhere Auszahlung erhält.
Wenn das Unternehmen nun für CHF 6 Mio. verkauft würde, sieht die Situation anders aus:
- Übt der Investor seine Liquidation Preference aus, erhält er CHF 1 Mio. und partizipiert nicht weiter am Verkaufserlös.
- Wandelt der Investor seine Vorzugsaktien in Stammaktien um, erhält er CHF 1.2 Mio. (= 20 % des Verkaufspreises von CHF 6 Mio.) und damit mehr als bei Ausübung der Liquidation Preference. Entsprechend wird sich der Investor für die Umwandlung entscheiden.
Würde das Unternehmen nun zu einem Preis von CHF 5 Mio. verkauft, wäre es für den Investor irrelevant, ob er seine Vorzugsaktien in Stammaktien umwandelt oder seine Liquidation Preference ausübt. In beiden Fällen erhält er denselben Erlösanteil von CHF 1 Mio.
Der Verkaufspreis von CHF 5 Mio. wird daher auch «Conversion Threshold» genannt. Bei einem Verkaufspreis unterhalb dieser Schwelle wird der Investor die Liquidation Preference ausüben, bei einem Verkaufspreis oberhalb der Schwelle rechtfertigt sich eine Umwandlung der Vorzugsaktien in Stammaktien des Unternehmens.
b) Participating
Bei einer participating Liquidation Preference erhält der Investor neben der Rückzahlung seiner Investition gemäss dem vereinbarten Multiple einen zusätzlichen Anteil am verbleibenden Erlös, und zwar im Verhältnis zu seiner Beteiligung, ohne dass er seine Vorzugsaktien in Stammaktien des Unternehmens umwandeln muss.
Im obigen Beispiel, in welchem der Investor CHF 1 Mio. investiert hat, 20% des Unternehmens hält und über eine 1x participating Liquidation Preference verfügt, sieht die Situation bei einem Verkauf für CHF 2 Mio. wie folgt aus:
- Der Investor erhält seine Investition im Umfang von CHF 1 Mio. zurück und hat ferner Anspruch auf 20% des übrigen Erlöses, d.h. auf CHF 200'000.00. Die Gesamtauszahlung beträgt damit CHF 1.2 Mio.
Da der Investor bei einer participating Liquidation Preference «zweimal» profitiert, spricht von auch von einem «double-dipping». Dies ist auch der Grund, weshalb Vorzugsaktien mit participating Liquidation Preferences kaum in Stammaktien umgewandelt werden, es sei denn es werde ein sog. Cap vereinbart.
3) Vereinbarung eines Cap
Participating Liquidation Preferences können für Gründer und bestehende Aktionäre offensichtlich nachteilige Folgen haben. Sie führen dazu, dass bevorzugte Investoren neben dem Multiple unbeschränkt an einem potenziellen Erlös beteiligt werden. Zum Schutz des Gründerteams und der nicht bevorzugten Investoren wurden daher unter dem Begriff Cap eine Obergrenze des an die Investoren mit participating Liquidation Preferences fliessenden Betrags eingeführt.
Mit dem Cap wird bei Participating Liquidation Preferences ein Conversion Threshold eingeführt, d.h. mit dem Cap wandelt auch ein Investor mit Participating Liquidation Preferences seine Vorzugsaktien unter bestimmten Umständen in Stammaktien um. Dies dann, wenn der Anteil des Investors gam Gesamterlös, berechnet aufgrund seiner Unternehmensbeteiligung, höher ist als das Cap.
4) Senioritäts-Strukturen
Führt eine Gesellschaft mehrere Finanzierungsrunden durch und gewährt sie den Investoren in den verschiedenen Finanzierungsrunden Liquidation Preferences, stellt sich bald die Frage des Verhältnisses bzw. der Rangfolge der Investoren untereinander.
Hierfür werden in den Finanzierungsverträgen sog. Seniority Structures vereinbart. Diese regeln, wie der Erlös aus einem Liquidity Event unter den Vorzugsaktionären verteilt wird, wie also der sog. Exit Waterfall aussieht.
a) Standard-Seniorität
Bei der Standard-Seniorität erfolgt die Auszahlung des Erlöses zunächst an die Investoren der letzten Runde und danach an die Investoren der früheren Runde. Folglich erhalten Series B-Investoren im Falle eines Liquidity Events zunächst ihre volle Liquidation Preference zurück, bevor dann auch die Series A-Investoren ihre Rechte ausüben können.
Diese Standard-Seniorität wird in der Praxis häufig angewendet. Dies hat einen einfachen Grund: Die Kapitalbeschaffung ist für Unternehmen nicht immer einfach und Investoren einer späteren Runde können häufig eine bevorzugte Behandlung verlangen, weil frühere Investoren auf sie angewiesen sind, um das Überleben des Unternehmens zu sichern.
Ein Beispiel zur Standard-Seniorität wäre wie folgt:
Ein Unternehmen XZ AG hat in einer Series A- und in einer Series B-Finanzierungsrunde jeweils CHF 1 Mio. mit einer 1x Liquidation Preference durchgeführt. Leider wurde das Unternehmen danach nur mit CHF 900'000.00 verkauft. In Anwendung der Standard-Seniorität erhalten die Series B-Investoren den vollen Verkaufserlös von CHF 900'000.00. Die Series A-Investoren gehen leer aus.
Hätte das Unternehmen XZ AG in der Series A und der Series B-Finanzierungsrunde jeweils CHF 2 Mio. aufgenommen und würde sodann für CHF 3 Mio. verkauft, erhalten die Series B-Investoren CHF 2 Mio. zurück und die Series A-Investoren nur die restlichen CHF 1 Mio.
b) Pari Passu
Bei der Pari Passu-Struktur haben alle Vorzugsaktionäre denselben Status, d.h. jeder Investor erhält einen Anteil am Erlös. Wenn der Erlös nicht genügt, um sämtliche Ansprüche der Investoren mit Liquidation Preferences zu befriedigen, erhalten sie einen Teil des Gesamterlöses in Abhängigkeit des investierten Kapitals.
Hier ein Beispiel:
Ein Unternehmen XZ AG hat drei Finanzierungsrunden (Series A, B und C) abgeschlossen und jeweils Vorzugsaktien mit einer 1x Liquidation Preference Pari Passu ausgegeben. Die Zahlen präsentieren sich wie folgt:
Das Gründerteam hat CHF 2 Mio. investiert (2,6% der aufgenommenen Mittel). Die Investoren der Series A haben CHF 5 Mio. investiert (6,5 % der aufgenommenen Mittel). Die Investoren der Series B haben CHF 30 Mio. investiert (39 % des aufgenommenen Kapitals) und die Investoren der Series C haben schliesslich CHF 40 Mio. investiert (51,9 % der aufgenommenen Mittel). Insgesamt wurde CHF 77 Mio. aufgenommen.
Wir das Unternehmen nun für CHF 50 Mio. veräussert, haben die Investoren einen Anspruch auf den Erlös gemäss ihrer Kapitalbeteiligung (Gründerteam erhält 2.6% der CHF 50 Mio., die Series A-Investoren erhalten 6.5% der aufgenommenen Mitteln usw.).
Ist der Verkaufserlös grösser als die aufgenommenen Mittelt, wird es bei der Pari Passu-Struktur kompliziert, insbesondere wenn Non-Participating Liquidation Preferences bestehen. Diesfalls hat der Investor nämlich zwei Optionen (Ausübung der Liquidation Rights oder Umwandlung in Stammaktien).
Entscheidet sich der Investor für die Umwandlung, erhält er einen Anteil am Erlös im Umfang seiner Aktienbeteiligung. Die Auszahlung gemäss Aktienbeteiligung erfolgt jedoch erst, nachdem sämtliche bevorzugten Investoren ihre Vorzugsrechte ausgeübt hat.
Wird ein Unternehmen beispielsweise für CHF 10 Mio. verkauft, könnte ein Investor mit einer Beteiligung von 50 % CHF 5 Mio. erwarten, wenn er seine Vorzugsaktien umwandelt. Wenn sich jedoch alle anderen bevorzugten Investoren entschliessen, ihre Liquidation Rights auszuüben, erhält derjenige Investor, der sich für die Umwandlung entschieden hat, 50 % eines wesentlich geringeren Resterlöses.
Die Pari-Passu-Struktur findet sich häufig bei Unternehmen, die keine Probleme bei der Kapitalbeschaffung haben und folglich gegenüber den Investoren in einer guten Verhandlungsposition sind.
c) Gestaffelte Seniorität:
Teilweise werden Investoren verschiedener Runden auch in unterschiedliche Senioritäts-Stufen eingeteilt. Eine solche gestaffelte Seniorität lässt sich am besten anhand eines Beispiels erklären:
Die XZ AG hat in fünf Finanzierungsrunden insgesamt CHF 15 Mio. eingesammelt. Die Investoren der Serien E und D teilen sich die höchste Senioritäts-Stufe. Die Investoren der Serien C und B teilen sich die mittlere Stufe, während die Investoren der Serie A die unterste Stufe der Vorzugsaktionäre bilden.
Innerhalb jeder Stufe folgen die Anleger der Pari Passu-Struktur. Bei der gestaffelten Seniorität liegt folglich eine Art Mischform zwischen der Standard-Seniorität und dem Pari-Passu vor. Primär werden also die Investoren in der Series E und D befriedigt, wobei innerhalb dieser Investoren eine Pari Passu-Behandlung gilt.
III. Warum ist eine Liquidation Preference von Bedeutung?
Die Liquidation Preference bietet Investoren eine Sicherheit, dass sie mindestens das von ihnen investierte Kapital zurückerhalten, selbst wenn der Verkauf zu einer tieferen Bewertung erfolgt, als zu der die Investoren investiert haben. Je nach Situation ist es daher jedem Investor zu empfehlen, die Vereinbarung gewisser Liquidation Preferences zu prüfen.
Zu berücksichtigen ist dabei aber auch der Einfluss von Liquidation Preferences auf die Motivation des Gründerteams und des beteiligten Managements. Je weitreichender die Liquidation Preferences, desto geringer ist der potenziell realisierbare Wert für das Gründerteam und das beteiligte Management. Das wirkt sich selbstredend auf die Motivation aus.
Ein geschickter Investor wird daher sorgfältig zwischen «optimalen Investitionsbedingungen» und «maximaler Motivation» vom Gründerteam und beteiligtem Management abwägen. Was am Ende herauskommt, ist Verhandlungssache und hängt von der Phase des Unternehmens, der Verhandlungsstärke der beteiligten Personen und der bestehenden Kapitalstruktur ab.