Mit seinem Entscheid BGE 148 III 69 hat das Bundesgericht entschieden, dass eine Aktiengesellschaft handlungsunfähig werden kann, wenn sie ihre Generalversammlung nicht rechtzeitig einberuft. Wie du die Handlungsunfähigkeit deiner Gesellschaft verhindern kannst und was du tun kannst, wenn diese bereits eingetreten ist, erfährst du im neuesten Blogbeitrag von Lex Futura.
1. In a Nutshell
Grund der Handlungsunfähigkeit
Die Mitglieder des Verwaltungsrates werden jeweils für eine zeitlich beschränkte Amtsdauer gewählt. Gemäss dem Entscheid des Bundesgerichtes kann dieses Mandat nicht stillschweigend verlängert werden. Wenn das Mandat des Verwaltungsrates ausläuft, muss innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres eine ordentliche Generalversammlung einberufen werden, an der der Verwaltungsrat neu gewählt wird. Ansonsten wird die Gesellschaft handlungsunfähig.
Folgen der Handlungsunfähigkeit
Die Einberufung einer Generalversammlung gehört zu den unübertragbaren Aufgaben des Verwaltungsrates. Nach Ablauf des Mandates kann er daher nicht mehr gültig eine Generalversammlung einberufen und hat somit keine Möglichkeit die Handlungsunfähigkeit zu beheben. Aber auch alle anderen Beschlüsse, die gemäss Gesetz oder Statuten dem Verwaltungsrat vorbehalten sind, können nicht mehr gefasst werden. Gegen aussen bleibt die Gesellschaft dagegen handlungsfähig. Die ehemaligen Verwaltungsratsmitglieder handeln als faktische Organe der Gesellschaft. Sie kann daher gegen aussen weiterhin gültig Rechtsgeschäfte abschliessen.
Auswege aus der Handlungsunfähigkeit
Der einfachste Ausweg aus der Handlungsunfähigkeit ist die Einberufung einer Universalversammlung. Alle Aktionäre der Gesellschaft können gemeinsam eine Generalversammlung einberufen, an der sie einen neuen Verwaltungsrat wählen. Sollte dies keine Option sein, kann notfalls ebenfalls die Revisionsstelle die Generalversammlung einberufen. Der letzte Ausweg ist die Einsetzung eines Verwaltungsrates durch das Gericht auf Antrag eines Aktionärs. Der eingesetzte Verwaltungsrat kann dann eine Generalversammlung einberufen.
Präventionsmassnahmen
Damit es gar nicht erst zu einer Handlungsunfähigkeit kommt, stehen verschiedene Präventionsmassnahmen zur Verfügung. Die einfachste Art der Prävention ist selbstverständlich die rechtzeitige Einberufung der ordentlichen Generalversammlung. Sollte der Jahresabschluss oder Revisionsbericht nicht rechtzeitig fertig werden, ist es ratsam, dass der Verwaltungsrat dennoch innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres eine Generalversammlung einberuft mit dem einzigen Traktandum, das Mandat des Verwaltungsrates zu verlängern. Am sichersten ist deine Gesellschaft, wenn der Verwaltungsrat jeweils für eine Amtszeit von mindestens zwei Jahren gewählt wird, die Wahl des Verwaltungsrates aber jedes Jahr wiederholt wird. So tritt keine Handlungsunfähigkeit ein, auch wenn die Generalversammlung einmal nicht rechtzeitig einberufen wird.
2. Einberufung und Durchführung der Generalversammlung
Die ordentliche Generalversammlung muss nach Gesetz jährlich innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres stattfinden. Dabei handelt es sich um eine Ordnungsvorschrift, das heisst die Nichteinhaltung der Frist hat keine Konsequenzen und schadet insbesondere nicht der Verbindlichkeit der Generalversammlungsbeschlüsse. Der Verwaltungsrat kann die Generalversammlung also auch nach Ablauf der Frist ansetzen, solange er die Einberufung der Generalversammlung und Traktandierung der Neuwahl des Verwaltungsrates innerhalb der gesetzlichen Frist vornimmt. Wird die Generalversammlung dagegen ungültig, also durch den nicht mehr gültig mandatierten Verwaltungsrat, einberufen, sind sämtliche Beschlüsse, die an dieser Generalversammlung gefasst werden, nichtig.
3. Folgen der Handlungsunfähigkeit
Beschlüsse
Läuft das Mandat des Verwaltungsrates ab und wurde innerhalb der sechsmonatigen Frist kein neuer Verwaltungsrat gewählt, hat die Gesellschaft keinen Verwaltungsrat mehr. Beschlüsse über sämtliche Themengebiete, die gemäss Gesetz zu den unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben des Verwaltungsrates gehören, können danach nicht mehr gültig gefasst werden. Die Statuten können innerhalb der Schranken des Gesetzes allerdings weitere Aufgaben dem Verwaltungsrat zuweisen. Auch in diesen Bereichen können während der Handlungsunfähigkeit keine Beschlüsse gefasst werden.
Handlungen gegen aussen
Wie bereits erläutert, bleibt die Gesellschaft gegen aussen handlungsfähig. Die Handlungen der ehemaligen Verwaltungsratsmitglieder sind für die Gesellschaft weiterhin verbindlich, da sie als faktische Organe tätig sind. Ausserdem dürfen sich die Vertragsparteien auf die im Handelsregister eingetragene Handlungsvollmacht der Verwaltungsratsmitglieder verlassen, sofern sie nichts von der Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft wissen.
Haftung des Verwaltungsrates
Die Verantwortlichkeitsklage kann nicht nur gegen Mitglieder des Verwaltungsrates, sondern auch gegen alle anderen mit der Geschäftsführung befassten Personen erhoben werden. Die ehemaligen Verwaltungsratsmitglieder, welche als faktische Organe weiterhin für die Gesellschaft handeln, sind daher auch während der Handlungsunfähigkeit gegenüber der Gesellschaft sowie ihren Aktionären und Gläubigern haftbar. Durch den Ablauf des Mandates entsteht somit keine Haftungslücke. Wichtig zu beachten ist, dass bereits die Nichteinhaltung der sechsmonatigen Frist zur Einberufung einer Generalversammlung Grund für eine Verantwortlichkeitsklage sein kann, sofern der Gesellschaft oder ihren Aktionären oder Gläubigern dadurch ein Schaden entsteht.
4. Universalversammlung
Die Eigentümer oder Vertreter sämtlicher Aktien können ohne Einhaltung der für die Einberufung geltenden Vorschriften eine Generalversammlung einberufen. Die Einberufung erfolgt daher ohne entsprechenden Verwaltungsratsbeschluss. In dieser Versammlung kann über alle Gegenstände Beschluss gefasst werden, welche in den Geschäftskreis der Generalversammlung fallen, also auch über die Wahl des Verwaltungsrates. Dieser Ausweg aus der Handlungsunfähigkeit ist nur für kleine Gesellschaften mit wenigen Aktionären geeignet, da ausnahmslos alle Aktien an der Universalversammlung vertreten sein müssen.
5. Einberufung durch die Revisionsstelle
Die Revisionsstelle hat das Recht die Generalversammlung «nötigenfalls» einzuberufen. Sie soll dieses Recht somit nur im Ausnahmefall nutzen, wobei es im Ermessen der Revisionsstelle liegt, festzustellen, wann dies nötig ist. Wird die Gesellschaft aufgrund Ablaufs des Mandates des Verwaltungsrates handlungsunfähig, ist ein solcher Ausnahmefall auf jeden Fall gegeben.
In seinem Urteil 4A_387/2023 vom 2. Mai 2024 hat das Bundesgericht entschieden, dass das Mandat der Revisionsstelle im Gegensatz zu dem des Verwaltungsrates nicht durch Zeitablauf enden kann. Stattdessen endet das Mandat erst mit Abnahme der letzten Jahresrechnung durch die Generalversammlung. Ein Problem im Zusammenhang mit diesem Ausweg aus der Handlungsunfähigkeit ist, dass ein grosser Teil der Schweizer Aktiengesellschaften gar nicht über eine Revisionsstelle verfügt, da die Generalversammlung auf das Erfordernis einer Revision verzichtet hat (sog. Opting-out).
6. Einsetzung eines Verwaltungsrates durch das Gericht
Wenn das Mandat des Verwaltungsrates infolge Zeitablaufs endet, fehlt es der Gesellschaft an einem obligatorischen Organ, was zu einem sog. Organisationsmangel führt. In diesem Fall ist jeder Aktionär, Nutzniesser und Gläubiger der Gesellschaft berechtigt, dem Gericht zu beantragen, die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen, um den rechtmässigen Zustand wiederherzustellen. Das Gericht kann daraufhin einen neuen Verwaltungsrat einsetzen, welcher wiederum berechtigt ist, die Generalversammlung einzuberufen. Üblicherweise wird das Gericht den bisherigen Verwaltungsrat in diese Position einsetzen.
7. Unser Tipp: frühzeitige Verlängerung des Mandates
Wie bereits erläutert, lässt sich die Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft natürlich am einfachsten verhindern, indem die Generalversammlung rechtzeitig einberufen und abgehalten wird. Im Geschäftsalltag verläuft allerdings nicht immer alles nach Plan. Die Möglichkeit eine Generalversammlung einzuberufen mit dem einzigen Traktandum, das Mandat des Verwaltungsrates zu verlängern, sollte nach Möglichkeit vermieden werden. In der Praxis ist dies sowohl für den Verwaltungsrat wie auch für die Aktionäre sehr umständlich und mit unnötigen Kosten verbunden. Lex Futura empfiehlt daher, den Verwaltungsrat mindestens für zwei Jahre zu wählen, das Mandat danach aber jedes Jahr, oder spätestens ein Jahr vor Ablauf des Mandates, zu verlängern. So bist du auf der sicheren Seite und riskierst nicht, dass deine Gesellschaft handlungsunfähig wird.