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Wie verhindert man Pattsituationen in 50:50-Konstellationen?

Alain Friedrich
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Alain Friedrich
31.3.2022

I. Was ist das Problem?

Bei Aktiengesellschaften erfolgt die Entscheidfindung in der Generalversammlung mit der absoluten Mehrheit der vertretenen Aktienstimmen, sofern das Gesetz oder die Statuten nichts anderes vorsehen. Im Verwaltungsrat entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, d.h. es gilt das Kopfstimmprinzip.

Bei paritätischen Zweipersonengesellschaften besteht nun die Gefahr, dass es bei der Beschlussfassung zu einer Stimmengleichheit kommt und kein positiver Beschluss gefasst werden kann. Es bleibt beim Status quo. Kommen nun positive Beschlüsse über eine längere Zeit nicht mehr zustande, ist das entsprechende Beschlussgremium längerfristig gelähmt.

Es liegt eine «Pattsituation» vor, die es zu verhindern gilt.

II. Welche Instrumente gibt es, um Pattsituationen zu verhindern?

Bei klassischen 50 %/ 50 %-Konstellationen sind Pattsituationen strukturinhärent, weshalb bereits bei Gründung der Gesellschaft Vorkehrungen zu treffen sind. Diese können auf gesellschaftsrechtlicher oder vertraglicher Ebene umgesetzt werden.

A. Mögliche Lösungsansätze auf gesellschaftsrechtlicher Ebene

a.) Stichentscheid des Vorsitzenden des Verwaltungsrats

Pattsituationen im Verwaltungsrat können bereits dadurch verhindert werden, dass eine ungerade Anzahl von Verwaltungsratsmitgliedern eingesetzt wird.

Wird eine gerade Anzahl von Verwaltungsratsmitgliedern bestellt, enthält das Gesetz eine Konfliktlösung: Gemäss Art. 713 Abs. 1 OR hat der Vorsitzende des Verwaltungsrates den Stichentscheid, sofern die Statuten nichts anderes vorsehen. Soll der Vorsitzende keinen Stichentscheid haben, muss der Stichentscheid in den Statuten somit explizit ausgeschlossen werden.

Bei paritätischen Zweipersonengesellschaften wird der Stichentscheid des Vorsitzenden oft ausgeschlossen. Man möchte verhindern, dass ein Aktionär den anderen im Verwaltungsrat überstimmen kann (vgl. aber nachfolgend die Regelung eines alternierenden Vorsitzes).

b.) Einräumung eines Stichentscheids eines Dritten

Eine Alternative zur Einräumung eines Stichentscheids an den Vorsitzenden des Verwaltungsrats ist die Einräumung eines Stichentscheids an einen Dritten.

Für die Verhinderung einer Pattsituation in der  Generalversammlung kann jeder 50 %-Aktionär beispielsweise je eine Aktienstimme einem neutralen Dritten übertragen, der sodann als zusätzlicher Aktionär einen «echten Stichentscheid» fällt.

Für die Vermeidung einer Pattsituation im Verwaltungsrat ist es natürlich auch möglich, ein unabhängiges und neutrales Verwaltungsratsmitglied in den Verwaltungsrat zu wählen, welches dann den Stichentscheid hat.

B. Mögliche Lösungsansätze auf vertraglicher Ebene

a.) Alternierender Vorsitz

In einem Aktionärbindungsvertrag kann im Zusammenhang mit dem Stichentscheid vereinbart werden, dass sie sich die Aktionäre den Vorsitz teilen, d.h. der Vorsitz (und damit der Stichentscheid) periodisch gewechselt wird. Der regelmässige Wechsel der finalen Entscheidungsmacht hat dabei auch präventive Wirkung: Das Wissen um den Wechsel des Vorsitzes schützt tendenziell vor dessen Missbrauch.

b.) Modifikation des Stichentscheides

Die Parteien können den gesetzlichen Stichentscheid vertraglich auch modifizieren. Beispielweise kann er auf bestimmte, vertraglich definierte Grundsatzthemen beschränkt werden. Denkbar ist zudem, dass der Stichentscheid bei gewissen Fragen einer aussenstehenden Fachperson zugeteilt wird. Eine solche Regelung kann sinnvoll sein, wenn der definitive Entscheid losgelöst von den Personen rein aus fachlicher Perspektive erfolgen soll.

c.) Einsatz von Joker-Karten

Teilweise wird auch vereinbart, dass jede Partei einen jährlichen «Joker» hat.  Der «Joker» erlaubt einem Aktionär ein Veto einzulegen. Wird das Veto eingelegt, hat die andere Partei die Wahl, ob sie das Veto akzeptiert oder ob sie ihrerseits die eigene «Joker-Karte» einsetzen möchte. Im letztgenannten Fall tritt eine Blockade ein, die durch einen anderen Mechanismus gelöst werden muss.

Ein wichtiges Element beim Einsatz von Joker-Karten besteht darin, dass die streitverursachende Partei, d.h. diejenige Partei, welche ihre Joker-Karte einlegt, im Folgejahr ihren Anspruch auf den Einsatz ihre Joker-Karte verliert. Von dieser «Sperrung» geht in der Regel eine abschreckende Wirkung aus und es soll damit der Druck auf die Parteien erhöht werden, einen Kompromiss zu finden.

d.) Losentscheid

Eine weitere Möglichkeit, Pattsituationen aufzulösen, ist die Vereinbarung eines Losverfahrens.

Die statutarische Verankerung eines Losentscheides bietet sich beispielsweise bei Wahlen oder Eventualanträgen an, bei denen mehrere Optionen vorliegen. Die Entscheidung wird dabei nicht durch eine Willensäusserung der Mehrheit oder durch einen Stichentscheid gefällt, sondern durch Zufall. Das Bundesgericht hat bestätigt, dass der Losentscheid auch in der Generalversammlung ein valables Instrument zur Konfliktlösung bei Stimmengleichheit ist. Ein Losentscheid setzt jedoch grundsätzlich eine statutarische Grundlage voraus (vorbehalten bleiben schuldrechtliche Vereinbarungen im Aktionärbindungsvertrag).

Auch im Verwaltungsrat ist die Verankerung eines Losentscheides zulässig. So ist denkbar, dass die Ernennung eines neuen Geschäftsführungsmitglieds bei Stimmengleichheit nicht dem Stichentscheid des Vorsitzenden, sondern dem Zufall über ein Losverfahren unterstellt wird. Dasselbe Vorgehen ist bei der Auswahl unter mehreren alternativen Eventualanträgen denkbar.

e.) Beizug eines Dritten

Ein sehr gutes und in der Praxis auch oft verwendetes Mittel, um Konflikte zu lösen, ist die Vereinbarung, dass die Parteien bei einem Streit einen aussenstehenden Dritten zur Konfliktlösung beiziehen (z.B. im Rahmen eines Mediations- oder Schiedsverfahrens, durch Bestellung eines Schiedsgutachters). Auch hier gibt es verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten, die in der Praxis zur Anwendung kommen.

C. Was geschieht, wenn keine Lösung absehbar ist?

Für den Fall, dass die Parteien langfristig keine Lösungen finden, muss jede Partei die Option haben, die Angelegenheit zu «eskalieren». Hier wird typischerweise jeder Partei - nach einem gescheiterten Konfliktlösungsverfahren – vertraglich das Recht eingeräumt, einen vertraglich definierten Auskaufmechanismus zu initiieren. Ziel dieses Verfahrens ist es, beim Scheitern der gemeinsamen Zusammenarbeit zu klären, welche Partei das gemeinsame Geschäft weiterbetreibt und welche Partei ausscheidet.  

a.) Was wird bei einem Auskaufmechanismus vereinbart?

Beim Auskauf geht es nicht (mehr) um die Konsensfindung, sondern darum, zu klären, ob das Unternehmen liquidiert werden muss oder ob es von einer Partei allein weitergeführt wird. Wird das Unternehmen weitergeführt, ist die ausscheidende Partei zu einem fairen Preis auszukaufen.

Es steht damit die Suche nach einem Mechanismus im Zentrum, der eine faire Preisfestlegung für den Auskauf einer Partei sicherstellt. Mögliche Varianten sind:

  • Externe Bewertung des Unternehmensanteils: Ein erster Lösungsansatz besteht darin, dass eine externe Bewertung des zum Verkauf stehenden Unternehmensanteils durch einen unabhängigen, von allen Seiten akzeptierten (oder durch eine unabhängige Institution festgelegten) Schiedsgutachter vorgenommen wird.
  • Internes Auktionsverfahren: Eine weit verbreitete Alternative zur externen Bewertung ist die Durchführung eines internen Auktionsverfahrens. Dabei soll der Unternehmensanteil derjenigen Vertragspartei übertragen werden, welche den Anteil zum höchsten Preis übernimmt. Es soll der Grundsatz gelten, dass diejenige Partei, welche unter dem vorgesehenen Auskaufmechanismus zum Verkauf des Unternehmensanteils verpflichtet wird, einen Kaufpreis erhält, den sie selbst nicht zu bezahlen bereit gewesen ist.

Bei der vertraglichen Ausgestaltung des internen Auktionsverfahren gibt es verschiedene Varianten. Am beliebtesten sind das sog. «Russische Roulette» und der «Texas-Shoot-Out».

Russisches Roulette

Beim sog. russischen Roulette wird der Auskaufprozess durch die kündigende Partei A mit der Abgabe eines Kaufpreisangebots für die Übernahme des hälftigen Unternehmensanteils initiiert. Weil nach diesem Schritt unklar ist, ob A schlussendlich veräussern oder erwerben wird, ist die kündigende Partei A gezwungen, einen möglichst fairen Preis zu offerieren. Die andere Partei B kann sodann entscheiden, ob sie den Unternehmensanteil von A zum angebotenen Preis erwerben oder die eigenen Aktien zum angebotenen Kaufpreis verkaufen möchten.

Texas-Shoot-Out

Bei Vereinbarung eines sog. «Texas-Shoot-Out» kommt der Anstoss auch von der kündigende Partei A mit einem ersten Angebot für die Übernahme des anderen Unternehmensanteils.

Die Partei B hat sodann das Wahlrecht, entweder (i) die eigenen Aktien zum angebotenen Kaufpreis zu verkaufen oder (ii) selbst einen höheren Kaufpreis für den Erwerb des Unternehmensanteils der anderen Partei zu bieten.

Wir ein höherer Kaufpreis offeriert, folgt ein internes Auktionsverfahren in einer oder mehreren Runden. Bei der Ausgestaltung dieses Verfahren sind die Parteien frei. Ziel ist immer, dass der Unternehmensanteil derjenigen Partei zugeschlagen wird, welche ihm den höchsten Wert beimisst und dafür den höchsten Preis offeriert. Faktisch wird sich typischerweise die finanzkräftigere Partei durchsetzen.

Schlussbemerkung

Die Vereinbarung von Konfliktlösungsmechanismen ist nicht nur, aber insbesondere, bei paritätischen  Zweipersonengesellschaften von grosser praktischer Bedeutung. Sind Streitigkeiten einmal entstanden, wird es erfahrungsgemäss schwierig eine konstruktive Lösung zu finden. Entsprechend sollten bereits bei der Gründung entsprechende Mechanismen diskutiert und vereinbart werden.

Wenn zwei Personen eine gemeinsame Aktiengesellschaft gründen, sich je zu 50% daran beteiligen und im Verwaltungsrat Einsitz nehmen, kann es bei Meinungsverschiedenheiten im Verwaltungsrat und/oder in der Generalversammlung schnell zu einem sog. Deadlock bzw. einer Pattsituation kommen. Die Gesellschaft kann keine Beschlüsse mehr fällen und wird handlungsunfähig. Ein echtes Problem.